Es ist der 3. Februar 1800
Alexander von Humboldt hatte die Position der Aus- sowie Einmündung des Cassiquiare mit Hilfe der Gestirne bestimmt. Er hatte damit bewiesen, dass der Cassiquiare als Kanal zu verstehen ist, der aus dem oberen Orinoco herausströmt und im Süden in den Rio Negro fliesst und dass somit natürliche Kanaele auch im ebenen Terrain vorkommen können, im Gegensatz zur Lehrmeinung der europäischen Geologen.
Alexander von Humboldt fuhr mit seinem Begleiter Aime Bonpland, einem Botaniker aus La Rochelle in Frankreich und einigen eingeborenen Helfern samt dem noch verbliebenen Gepäck, tagelang im Kanu den Rio Negro flussabwaerts um nach Manaus zu gelangen, wo er für neue Reisepapiere sorgen wollte, denn seine waren an den letzten Stromschnellen des Cassiquiare vor dem Rio Negro mitsamt den gesammelten Artefakten der Amazonasvoelker und dem akribisch zusammengestellten Herbarium des Bonpland ein Fraß der schäumenden Fluten geworden.
In Manaus, zu jener Zeit unter portugiesischer Verwaltung, sollte der Gesandte des deuschen Kaisers, der Konsul Arthur von Grolimund beim Gouverneur von Manaus eine Audienz erwirken bei der Humboldt um neue Reisepapiere ansuchen wollte.
Humboldt und Bonpland trafen gegen Mittag im Hause des Konsuls ein und wurden von einer bronzehäutigen, erhabend blickenden, elegant gekleideten eingeborenen Frau empfangen. Ihre edle Haltung war nicht die einer Dienstmagd und Humboldt wusste nicht recht welches Höflichkeitsprotokoll nun wohl angebracht wäre. Gottlob stellte sich die Frau bald selbst als Ehegattin des ehrwürdigen Konsuls vor. Sie hieß die beiden Reisenden Platz zu nehmen und brachte ihnen einen Krug mit Wasser zur Erfrischung.
Als wenig Später Arthur von Grolimund, der Konsul eintraf und sie nach ausgiebigen Begrüssungen und Ehrbezeugungen die Formalitäten hinter sich gebracht hatten, lud der Konsul seine Gäste zum Mittagessen ein.
Auf einem langgestreckten Tisch auf der Terasse des aus Holz und Stein gebauten Hauses wurden die Speisen aufgedeckt. Es gab Rinderbraten, Eierteigwaren, Bohnensprossen, Tomaten und trockene, geschrotete Wurzeln der Maniok-Staude genannte Farinha, die gegen Malaria schützen soll.
Zu trinken gab es wieder dieses köstlich erfrischende Wasser aus dem siebenundsechzig Meter tiefen Brunnen.
Der Gastgeber meinte, nun habe er endlich ein Alter erreicht, das der Tiefe seines Brunnens entspräche.
Zum Abschluss des reichen Mahles holte der Hausherr eine Flasche aus den kühleren Bereichen seiner Residenz und stellte sie einladend in die Mitte der Tafel. Es handelte sich um feines Kirschwasser, was nicht zuletzt Aufschluss über die Herkunft des Konsuls geben sollte.
Nachgefragt bestätigte Arthur von Grolimund seine schweizerische Abstammung. Humboldt hatte es schon auf Grund des Akzents vermutet.
Nun wurden eifrig Lebensgeschichten ausgetauscht und der Konsul erwähnt, dass seine elfjährige Tochter im Kirchenchor sänge und seit einiger Zeit sogar die Violine spielt.
Über seine Schulter hinweg rief er nach seiner Tochter Yasmina. Das bronzeschimmernde Mädchen mit dichten langen schwarzen Haaren und grünbraunen Augen erschien mit der Geige in der Hand, stellte sich am anderen Ende der Tafel auf und begann sofort einfache Lieder zu spielen. Man merkte, dass sie erst vor wenigen Monaten die ersten Geigenstunden erhielt, aber sie hatte bereits einen schönen gleichmaessigen Bogenstrich.
Und nun liebe Freunde, könnt ihr die Namen Alexander und Aime durch Herbert und Doris ersetzen.
Es ist der 5. Februar des Jahres 2009
Ja, es stimmt, mein Reisepass ist futsch. Gestohlen, oder verloren, egal wie, ich bin ohne Identität.
Das heisst, Doris muss allein weiterreisen, denn meine neuen Reisepapiere erlauben mir nur Brasilien zu verlassen und in Europa einzureisen.
Ich werde trotzdem versuchen über die Grenze nach Bolivien zu kommen.
Der Comandante an der bolivianischen Grenze wird mir wohl mit Höflichkeit alleine nicht erlauben einzureisen. Da werde ich universellere Signale sprechen lassen müssen. Zum Glück ist ja Fasching und alle wollen gut dastehen und ausgiebig feiern. Da lässt man die Quellen nicht versiegen.
Diese Geschichte ist wieder einmal typisch fuer unsere Art zu reisen.
Wir beschwören das Unvorhergesehene geradezu herauf. Das ist Teil des Abenteuers, wie hätten wir sonst den guten Arthur Grolimund und seine Familie kennengelernt?
Er selbst war so froh wieder einmal mit Menschen aus der alten Welt zu sprechen und Gedanken auszutauschen, dass er uns eine DVD geschenkt hat, mit einer Aufzeichnung der Oper Ça Ira von Roger Waters, aufgenommen im Teatro Amazonico, bei der seine Tochter mitgesungen hat.
Wir werden heute Abend gemeinsam ein Konzert besuchen.
6. Februar
Heute um 18:00 hat Doris mich verlassen und fährt mit dem Schiff den Rio Madeira stromaufwärts nach Süden zum Hafen der Stadt Puerto Velho.
Ich habe ihr noch die Hängematte am 2. Deck aufgeknüpft und dann "Auf Wiedersehen" gewunken. Das Schiff verliess den schwimmenden Hafen mit dröhnenden Motoren im Dunst des Rio Negro.
Da steh ich nun, alleine und weiss gar nicht ob ich ihr folgen kann.
Meine Papiere kommen erst in ein paar Tagen an.
Nun kommt meine Einsiedlerseele wieder hervor. Zum Glück ist Manaus eine sehr symphatische Stadt, voller interessanten Menschen.
Ich sitze beim Kaffee und schaue ihnen zu.
Donnerstag, 19. März 2009
Mittwoch, 18. März 2009
Grolimund Teil 2
Arthur Grolimund, österreichischer Honorarkonsul Manaus (gest. 2012) |
Leishmaniose
"Ich hatte früher ein wilderes Leben" eröffnete Arthur das Gespräch, während er sich mit der Gabel eine deutsche Bratwurst aus dem Topf angelt.
Heute gehört er und seine Familie der presbyterianischen Kirche an und Arthur hat sich einen frommen Lebensstil zugelegt. Vor dem Essen wird gebetet und Gott für die Gaben auf dem Tisch gedankt."Sollen wir auf deutsch oder portuges beten?" fragt er seine Frau. "Japonese" erwiedert Augusta mit unterdrücktem Lächlen und verdreht ihre dunkelbraunen Augen himmelwärts.
Doris und ich falten unsere Hände zum Gebet. Ich kann aber dem Gebet nicht recht folgen und setze mein "Amen" viel zu spät ein.
Während des Essens erzählte Arthur uns einiges aus seinem interessanten Leben.
Begonnen hatte er hier in Manaus mit einer Fabrik, die Dichtungsringe für Schweizer Uhren herstellte.
Die Erzählungen wurden äußerst interessant, als er auf das Thema Pflanzen und Tiere im Amazonasgebiet kam. Meistens waren seine Kontakte schmerzlicher Natur. Er hatte zum Beispiel ein Stück Urwald erworben und wollte das Holz verwerten. Eines Tages musste er feststellen, dass man ihm fast alle Bäume umgesägt hatte, obwohl er einen Wächter bezahlt hatte, Augen und Ohren offen zu halten. Der Kerl musste die Motorsäge in der Nacht gehört haben, aber die Diebe hatten ihn wohl besser bezahlt. Wütend fuhr Arthur zur Polizei um eine Anzeige zu machen. Als er zurückkam, waren alle Bäume weg. Abtransportiert. Binnen weniger Stunden. Eine schmerzliche Erfahrung.
Doch sie wird noch schmerzlicher. Er schnitt den Rest der Bäume um und schaffte sie in ein Lager. Am Abend bemerkte er einige rote Stellen über seiner linken Hüfte, die über Nacht anschwollen und merkwürdig spitz zuliefen. Erst dachte er an eine Entzündung die er sich beim Holztragen mit seinen schmutzigen Fingernägeln zugezogen hatte. Die Stellen wurden aber immer grösser und bildeten richtige Krater.Erst jetzt ging er zum Arzt, der sofort Leishmaniose feststellte. Verursacht durch einen besonders heimtückischen parasitären Einzeller, der sich sogar in die koerpereigenen Fresszellen einnistet. Es hatte ihn also doch beim Holztragen erwischt. Schmetterlingsmücken hatten ihn mehrmals gestochen, als er einen Bund Holz unter dem Arm zum Lastwagen schleppte.
100 Wespen
Eines Tages stellte er sich nackt unter seine Gartendusche. Als er den Wasserhahn aufdrehte, überfielen ihn hunderte von Wespen und stachen ihn in den Bauch und den empfindlichen Stellen darunter.
Die Wespen waren im Begriff, die Dusche in Beschlag zu nehmen und sich an den Rohren eine neue Villa zu bauen. Direkt am Duschkopf hing bereits der Rohbau, als die Wasserstrahlen den Bau wegsprengte und die Wepen nun wie wild gegen den Zerstörer vorgingen. Arthur schlug sich mit dem Handtuch die Wespen vom Leib und legte sich mit grossen Schmerzen ins Bett. "Das hat weh gemacht" untertreibt er auf schweizerisch"
Er hat mir später einen Film mit den Wespen auf seiner Dusche gezeigt. Es sah fürchterlich aus. So eine Schwarmbildung kenne ich sonst nur von Bienen.Auf sämtlichen Rohren und dem Duschkopf wimmelte es von zwei Zentimeter langen, schlanken Wespen.
Skorpion
"Meine damalige Freudin und ich gingen abends in ein Restaurant eines Freundes, nahe der Stadtgrenze, am Rande des Urwalds. In den achziger Jahren war Manaus noch nicht so gross wie heute und der Wald umschloß die Stadt mit dichtem Grün.Wir nahmen an einem Tisch im Freien Platz, im Schatten eines Mangobaumes, der ausserhalb eines kleinen Mäuerchens wuchs.
Irgendwann im Lauf des Abends spürte ich einen Schmerz im linken Ellenbogen. Ich dachte ich hätte mich in die kleinen Glasscherben gelehnt, die überall verstreut am Tisch lagen. Ich sah mir Stelle im Licht der Tischlaterne an, konnte aber nichts besonderes entdecken.
Vielleicht wieder eine Wespe, dachte ich. Da der Schmerz immer grösser wurde schlug meine Freundin vor, nach Hause zu fahren und eine Schmerzsalbe aufzutragen. Nach einer unruhigen Nacht zeigte sich am Ellenbogen ein roter Fleck. Noch immer dachte ich an eine Wespe, obwohl man keinen Einstich sah.
Tage danach wurden die Schmerzen immer rasender und auch der Fleck wuchs von mal zu mal. Ich lief also zum Arzt. Der verschrieb mir Antibiotika und Schmerztabletten.
Weitere schlaflose Nächte folgten, in denen ich mir den Arm von Zeit zu Zeit in einen Bottich mit Eiswürfeln legte um die Schmerzen zu lindern.
Es half nichts, bald schmerzte bereits der ganze linke Arm und der rote Fleck hatte sich zu einem grossen roten Ring ausgebildet. Als auch noch meine Verdauung ins chaotische glitt, empfahl mich ein Freund zum Betriebsarzt jener Fabrik, die früher mir gehörte.
Der Arzt war ein Inder und kannte sich sofort aus. Er hatte einer einheimischen Frau mittels Geistheilung geholfen. Bei mir, meinte er, wirke so etwas nicht. Ich komme aus dem Westen und glaube nicht an derlei Dinge.
Er veschrieb mir ein Medikament, dass er mir spritze. Vierzig Spritzen benötigte der Skorpionstich um einigermassen zu heilen. Ein Jahr lang hatte der Stich weiterhin furchtbar geschmerzt. Selbst fünf Jahre danach konnte ich ihn noch spüren, besonders wenn ich mich auf die Ellenbogen abgestützt hatte.
Und selbst heute noch, viele Jahre danach, kann ich einen dumpfen Schmerz erkennen wenn ich an meine Ellenbogen denke."
Dienstag, 17. März 2009
Grolimund Teil 3
ONCA (brasilianisch für Jaguar) |
„Als ich Anfang der achtziger Jahre hier in Manaus ankam, kaufte ich einen Baugrund etwas außerhalb am Waldrand. Heute liegt mein Haus mitten in der Stadt, wie du siehst“ erzählt mir der Schweizer Arthur Grolimund , Honorarkonsul für Österreich.
„Ich hatte damals eine Menge Tiere in meinem Garten. Ein paar Hühner, zwei Dobermänner, vierzehn Aras und fünf große Schildkröten. Auf der Größten konnten zweijährige Kinder reiten. Kinder und Erwachsene von ringsum kamen regelmäßig um sich an den Tieren zu erfreuen.
Eines Tages besuchte mich ein schweizer Anwalt und brachte eine Kiste in der Größe eines Kindersargs mit. Die Kiste hatte Luftspalten und man konnte ein Tier darin vermuten.
„Arthur, willst du mir den kleinen Jaguar abkaufen?“ fragt er mich und ließ mich in den Spalt blicken.
Im Inneren sah ich das Kätzchen. „Er ist etwa drei Monate alt.“ meinte der Anwalt. Im trüben Licht erkannte ich, dass sein Fell noch sehr hell war, mit angedeuteten Flecken.
„Nein, nein, ich kaufe keine Raubkatze, was soll ich denn damit?“ Damals war der Handel mit Wildtieren innerhalb Brasiliens zwar noch nicht verboten, aber ich wollte einen friedlichen Garten.„Na gut, aber du, ich müsste dringend ein paar Wochen nach Venezuela. Könnte ich das Jaguarweibchen inzwischen deiner Obhut überlassen? Ich hole es in drei Wochen wieder ab, dann zahle ich dir auch die Spesen.“
Also gut, ich nahm die Kiste an mich und baute die Tage darauf einen kleinen Käfig neben meinem Hühnerstall. Die Kleine war recht drollig und wurde bald zum Liebling der Nachbarkinder.Meine beiden Dobermänner wachten im Garten und waren darauf trainiert laut zu geben, wenn etwas Ungewöhnliches passiert.
Ich wartete viele Wochen, aber der Anwalt kam nicht wieder. So hatte ich das Tier ohne meinen Willen am Hals. Ich dachte daran es dem Zoo in Manaus zu vermachen. Der war aber gerade im Aufbau und der Zooleitung war das Geld ausgegangen. Also verbrachte das kleine Raubtier seine Tage bei mir in einem kleinen Käfig.
Die Zeit verging und nach anderthalb Jahren war Onca (sprich: onssa), wie man den Jaguar hier in Brasilien nennt, zu einer stattlichen Katze geworden. Inzwischen fraß sie jeden Tag bereits an die zwei Kilo Fleisch. Der Käfig war schon lange zu klein und so baute ich einen Robusteren etwas weiter von den Hühnern entfernt. Am nächsten Tag sollte noch das Tor geschweißt werden, dann wollte ich die Raubkatze übersiedeln.
Es war ungefähr fünf Uhr früh. Ich hörte einen fürchterlich langgezogenen Schrei von dem ich sofort glockenwach wurde. Das war einer meiner Hunde, schoss es mir durch den Kopf. Im nächsten Augenblick war mir klar, dass der Jaguar ausgebrochen sein muss.
Ich nahm meine Achtunddreißiger aus der Schublade und schlich mich mit einer Taschenlampe zur Türe in den Garten. Gleich an der Zaunmauer im Gebüsch sah ich sie. Onca hielt einen meiner Hunde zwischen ihren Pranken und biss am Rückgrad herum. Normalerweise beißt der Jaguar sein Opfer ins Genick oder packt es mit den Zähnen am Kopf. Aber meine Jaguarkatze hatte nie gelernt zu jagen, sie war viel zu früh ihrer Mutter weggenommen worden. Der Hund winselte in Todesangst. Ich schoss ungefähr fünf Mal in Richtung der Tiere und traf dabei die Raubkatze ein oder zweimal in den Kopf. Ein wenig Jaguarblut vermischte sich mit dem des verletzten Dobermanns. Erstaunt blickte mich Onca an. Eine Schrecksekunde lang wussten wir beide nicht, was nun passieren würde. Dann Iiess sie plötzlich von ihrer Beute ab, machte einen Satz auf die Mauer und verschwand im Garten meines Nachbarn. Ich musste die Verfolgung aufnehmen und rannte auf die Straße. Auf der Flucht konnte Onca einen Menschen verletzen oder gar töten. Ich musste sie stoppen.
Inzwischen setzte sie auch noch über einen weiteren Zaun zum nächsten Nachbarn, einem Japaner. Der hatte schon mitbekommen was los war und mit seiner Pistole, Kaliber zweiunddreißig, aus dem Fenster auf das Tier geschossen. Ein Zucken der Flanken zeigte, dass er dabei sicher ein paar Mal den Körper getroffen hatte, was aber überhaupt keine Wirkung zeigte. Inzwischen war Hundegebell aus mehreren Nachbarsgärten angeklungen und Onca lief den Weg zurück, sprang über die Mauern und landete wieder in meinem Garten.
In der Zeit, als ich die Verfolgung aufnahm, erschien mein zweiter Dobermann in der Fabrikhalle neben meinem Haus. Dort wurde zu der Zeit vierundzwanzig Stunden durchgearbeitet. Als Luis, der Vorarbeiter, ein erfahrender Jäger, meinen Hund sah, wie er da stocksteif und zitternd an der Türe stand, wusste er sofort Bescheid. Er rief laut in die Maschinenhalle „Der Onca ist los!“. Sämtliche Angestellten kletterten vor Angst auf die Maschinen. Luis stürmte in sein Büro, wo er seine Rifle an der Wand hängen hatte. Er packte das Gewehr und kramte nach Munition. Als er bei mir im Garten eintraf, hatte ich Onca bereits entdeckt. Sie saß im hinteren unbeleuchteten Teil auf einem Holzstoß, der mit einer Regenplane abgedeckt war. Sie war verletzt und atmete schwer. In einem Augenblick, als sie den Kopf zur Seite drehte, schoss ihr Luis durch das Ohr in den Kopf. Onca war sofort tot.
Mit tut es noch heute leid, dass es so gekommen ist. Onca war ein prächtiges Tier, eine starke Raubkatze. Ich ließ sie häuten und den Kopf präparieren. Heute liegen ihre Überreste als Dekoration in meinem Wohnzimmer.“Der verletzte Dobermann überlebte, hatte aber achtunddreißig Löcher von Zähnen und Krallen in seinem Körper.
Als Arthur mir den Schädel Oncas zeigte, bibberte sein neuer Hund, ein Huskie, vor Angst und drückte sich steif gegen die Wand. Der Anblick der Zähne schien ihm einen Schock zu versetzen, obwohl er noch nie eine lebende Raubkatze gesehen hatte.
„ Eines habe ich gelernt“ resümiert Arthur „Wenn du im Dschungel auf einen Jaguar triffst, bist du mit einer Pistole machtlos. Nimm besser ein Gewehr mit, aber ziele gut. Oder hoffe dass du keinem erwachsenem Onca im Wege stehst.“
Nacherzählt von Herbert Heyduck
Gewidmet Richard Kühn zu seinem Vierziger.
Sonntag, 15. März 2009
Papageienspuren
Beginnt es hier?
Ist das der Anfang?
Hier in der Castenhola Bar im Hafenviertel von Manaus?
Die Wirtin begrüßt mich mit breitem Lächeln und dem Handschlag der Freunde.
Wir umschließen gegenseitig unsere Daumen, während sich unsere Handflächen berühren . „Lange nicht geseh’n, wie geht’s dir?“ scheint sie zu sagen. „Toda bem“ lächle ich ihr zu und forme mit meinem Finger eine Eins.
Dröhnendes Schmalzlatino aus den Boxen.
Sie singt fröhlich mit, bringt mir ein Skol, schenkt mir ein fingerlanges Glas ein und stellt die langhalsige Bierflasche in einen Cooler aus Styropor.
Hastig leere ich das erste Glas und schenke mir zufrieden nach
Du gehst hier zehn Schritte und deine Unterwäsche saugt sich voll.
Heute, um acht Uhr früh hatte es bereits Einundreissig Grad.
Als ich die doppelten lichtundurchlässigen Vorhänge zur Seite riss, traf mich die Strahlenkanone Gottes. Aus Angst in ein Aschehäufchen verwandelt zu werden, drehte ich die Klimaanlage runter auf achtzehn Grad.
Hier also, na gut, ist mir recht.
Wo sonst noch? In einem Tschocherl, einem Vorstadtcafé in der Engerthstrasse in Wien könnte es vielleicht schon begonnen haben. Aber hier und jetzt habe ich den Knall gehört. Der Startschuss ist gefallen.
Escritor, ficcionista, Autor, Schriftsteller,
"Was schreibst du denn so?" werde ich gefragt. "Schreibst du Science Fiction?"
Die Antwort fällt mir nicht leicht.
Wie soll in in Kürze erklären, wovon meine Geschichten handeln?
Von überlagerten Realitäten? Dekonstruktivismus?
In tausende DUs explodierende ICHs?
Das klingt zu hochgestochen, angeberisch, obwohl es stimmt.
Wie wär’s damit?
Seit ich denken kann, bemerke ich, dass die Menschen von Jahr zu Jahr dümmer werden. In den letzten Jahren habe ich eine schlüssige Theorie darüber entwickelt. Diese Theorie möchte ich in Geschichten verpacken und sehen, ob sie sich verkaufen lassen. Auf diese Weise, so hoffe ich, werde ich Kontakt zu Gleichgesinnten erhalten, die ein ähnliches Phänomen beobachtet haben und meine Botschaft verstehen.
Science Fiction? Ja, warum eigentlich nicht?
Der Zukunftsroman als dekonstruierte Realität der Gegenwart.
Aber eigentlich schreibe ich nur über mich selbst. Oder über Einzelteile von mir,
die vorübergehend durch sämtliche Gehirnlappen zucken.
Die Erklärungen erreichen Romanlänge.
Der Roman ist die Erklärung.
"Erzähle bloss nichts über deine Träume", hatte mir eine alte Frau auf der Mariahilferstrasse zugeflüstert, als mein Euro scheppernd in die Blechbüchse fiel.
"Die haben mich deshalb ins Narrenhaus gebracht"
Eh nicht, ich erzähle niemandem meine Träume,
ich schreibe sie auf, das ist unauffälliger.
Da kannst du über das Ende der Welt schreiben und es kümmert niemanden.
"Gut geschrieben, eingenartiger Stil, flotte Feder", sowas sagen sie vielleicht,
oder auch „Zu weit her geholt, Inkonsistent, unverkäuflich“.
Niemand würde das Ende der Welt bemerken, selbst wenn es bereits die dritte Wiederholung gäbe.
Eine mutwillig blonde Frau, deren Körper nicht mit Raum geizt
und dennoch seine weibliche Form bewahrt zwängt sich durch die gelben Plastikmöbel.
An einer Stange aufgereiht, bunte Unterhosen, die sie verkauft.
Sofort will ich zugreifen, aber es sind nur Damenslips. Meine Grösse fehlt.
Währenddessen nährt sich mein eigener Slip vom Rückenwasser.
Die Hitze zwingt auch manche Damen zur Offenheit bis zum Nabel.
Salsatrompeten lähmen meine Schreibhand und meine Gedanken.
Ich tauche hinab in die Sehnsucht, die Sucht mich nach Glück zu sehnen.
Wenn ich nach oben blicke erkenne ich Licht wie durch einen Brunnenrand begrenzt.
nach unten scheint es endlos in die Dunkelheit zu gehen. Die Sehnsucht endet nie.
Salsatrompeten.
Weiter die Straße hinunter zum Rio Negro liegt der Markt.
Sonnengegerbte, gebeugte Männer schleppen Reissäcke, Fische oder gelbe Plastikmöbel die Straße herauf.
Die erblondete Frau spricht mich an, schnelles brasilheiro, muito rapido.
Ich verstehe nicht einmal Bahnhof.
Sie schnappt sich einen der Gartensessel und setzt sich sehr knapp neben mich.
Reizwäsche will sie mir verkaufen und wahrscheinlich mehr.
Wo ich her bin? Was ich hier mache?
Fragt sie und lässt meinen Haarschwanz durch ihr Finger gleiten.
"Escritor? Australia? Kanguru?", "Austria, Red Bull" korrigiere ich.
„Gorede“ schreibt sie auf den Deckel meines Notizbuchs, Goschesche heißt sie, sagt sie.
Von einem Straßenverkäufer nimmt sie ein halbes Dutzend kleine gekochte Vogeleier und schiebt sie mir nach und nach in den Mund. Ich sehe wie die Wirtin im Hintergrund schmutzig lacht , eine Faust macht und eindeutig den Arm abwinkelt.
Ich lade auf eine Flasche Cola ein. Gibt’s hier nicht, nur Bier.
Ob ich wohl die Bar wechseln möchte? Ihre Amigas sind da weiter unten in einer viel hübscheren Bar. Nein, ich bleibe, bin verheiratet, erzähle von meiner Esposa, die auf mich in Porto Velho wartet.
Die singende Wirtin schwebt herbei und und lässt ihr Haar frei.
Es fällt ihr bis zur Hüfte. Kann einem heißer sein als heiß?
Bei jedem „Amor“ im Text des Liedes deutet sie mit beiden Fingern auf mich.
Rasch tauscht sie meine fast leere Flasche Bier durch durch eine neue aus.
Zu spät für Gegenwehr.
Gorede zeigt mir ein Höschen in der Grösse eines Haargummis.
Nein, nicht zu verkaufen, es gehört ihr. Sie will damit ihren Esposo in die Glut greifen lassen. Da geht sie nun, mit einem tröstenden Winken, sie komme ja bald wieder.
Ich mache mir ein paar Notizen. Die Wirtin will wissen, was ich so eifrig aufschreibe. "La Libro?" Si, Si, nicke ich erfreut über die Anteilnahme. Ja, vielleicht wird ein Buch daraus. "Die tägliche Reise des Irgendwers durchs Irgendwo."
Aha nickt sie zurück und verschwindet hinter Stapeln von Bierkisten.
Als die Frauen fort waren, stürzen sich die Männer auf mich.
Ein kleinerer, etwa fünfzigjähriger Hombre, mit rot entzundenen Augen, einem ledernen Ranchero-Hut auf dem Kopf, dessen breite Krempen seitlich nach oben zeigen und den er unter keinen Umständen absetzen wird, nimmt mich ins Visier. Offensichtlich hat er mein nickendes Grüßen als Aufforderung verstanden. Nun eilt er herbei und setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
"Permiso?" fragt er entschuldigend und schnappt sich mein Notizbuch. Er schlägt es auf und liest angestrengt. Dann greift er zum Kugelschreiber und beginnt sofort auf einer neuen Seite etwas zu schreiben. Mit seiner freien Hand verdeckt er das Blatt. Niemand darf sehen, welche Notiz er mir hinterläßt.
Ganz kurz habe ich einen Blick auf die Zeilen. Es sieht aus, wie Tritte eines Papageis im Vogelsand.
Ein alter Herr, weit über die Siebzig, mit dürftigem Haupthaar, krausem Vollbart und nur mehr zwei Eckzähnen im Unterkiefer, lässt sich am Nebentisch nieder, grinst mir zu und spricht mich an. Ich verstehe nichts, aber es sieht ohnehin nicht so aus, als würde er eine Antwort erwarten.
Ich bestelle zwei weitere Gläser bei der Wirtin, schenke ein und stelle den Beiden die kühlen Biere hin.
Der Alte spuckt auf den Boden, schüttelt den Kopf und deutet mit bebenden Händen zum Himmel. Der Ranchero greift zum Glas und Prostet jemanden auf der Strasse zu.
Aus einer hinteren Ecke des Lokals fuchtelt mir die Wirtin mit den Armen zu. „Achtung, schwule Idioten!“. Ich hebe kurz meine Schultern.
Nun hat mich auch noch ein weiterer Barbesucher entdeckt. Ein schlaksiger Mann, mitte Dreissig, hellhäutiger als die beiden Anderen, gefettete schwarze Haare, glatt rasiert mit starkem Mundgeruch, kniet sich vor mich hin ergreift meine Arme und küsst mir die Hände. Sein Herz tut so weh, seine Frau hat ihn verlassen, weint er bitterlich. Seine Tränen fallen in meine offene Hand. Der Kummer schüttelt seinen ganzen Körper. Ich krame zwei Raeis aus meiner Hosentasche und löse mich aus seiner Umschlingung. Verächtlich steckt er den Schein in die Brusttasche seines fleckigen Hemdes und deutet mir, es ginge ihm nicht ums Geld. Aber ich sei ein guter Mensch. Er steht auf und küsst mich auf Stirn und Wangen.
Als er mich noch weiter küssen will, dränge ich ihn sanft von meiner Seite.
Erst nach einigen weiteren Versuchen hat meine Geste erfolg. Er schultert seinen Rucksack und winkt mir zum Abschied. „Tschau“ Ich rufe noch „Buen Suerte, viel Glück“, mir fällt ein, dass hier kaum jemand mein schlechtes spanisch versteht.
Der Alte stemmt sich aus seinem Sessel und schlurft ihm hinterdrein. Auch der Ranchero trinkt sein Glas leer, legt die Schreibsachen auf meine Tischseite und geht der glühenden Sonne entgegen. „Bonoitsch“ klingt es für mich, „Gute Nacht“ heisst es wohl.
Alle Drei sind plötzlich weg.
Haben Papageienspuren hinterlassen.
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